Arbeitsbericht 1995

Für die Arbeit am Projekt Konstruktion endlicher Strukturen spielten im letzten Jahr einige Arbeiten und Erkenntnisse eine große Rolle, die einige Monate vor Projektbeginn in Zusammenarbeit zwischen Herrn Harald Fripertinger und verschiedenen Mitgliedern des Institutes für Mathematik von Herrn Prof. Kerber in Bayreuth gemacht wurden. Es handelt sich dabei um Methoden, die Anzahl der Isometrieklassen linearer Codes über einem endlichen Körper GF(q) zu bestimmen. Diese Isometrieklassen lassen sich sehr elegant als Orbits von Generatormatrizen unter gewissen Gruppenaktionen darstellen. Der Fall q=2 wurde bereits von Slepian [10] in den 60-ger Jahren gelöst. Um den Fall q¹2 zu behandeln, war es von großer Bedeutung das Lehmannsche Lemma [8][9] für die Aktion des Kranzproduktes in Form der Exponentiation wiederzuentdecken. Nach diesem Schritt war es dann klar, daß man unter Verwendung der Zyklenzeiger projektiver linearer Gruppen, operierend auf projektiven Räumen, die Anzahl dieser Isometrieklassen bestimmen kann. Über diese Berechnung wurden bereits vor Projektbeginn zwei Artikel [5] und [3] zur Publikation eingereicht. Im Hinblick auf die damals zu erwartende Projektbewilligung sind diese Arbeiten dem Projekt zuzuordnen. In diesem Zusammenhang ist auch noch auf eine Formel zur Berechnung der Anzahl von Klassen unzerlegbarer linearer Codes hinzuweisen, die eine nicht näher angegebene oder bewiesene Formel von Slepian korrigiert und verallgemeinert.

Unter Verwendung von Reisemitteln, die durch den Fond zur Verfügung gestellt wurden, war es Herrn Fripertinger möglich, im Juli in Paris im Rahmen der AAECC-11 über diese neuen Erkenntnisse vorzutragen. Einen weiteren Vortrag über Methoden der algebraischen Kombinatorik und deren Anwendungen zur Bestimmung der Anzahl der Isometrieklassen linearer Codes hielt Herr Fripertinger im Rahmen der Mathematikertagung Graz-Zagreb in Motovun.

Eine zusammenfassende Publikation, in der auch verschiedene Aspekte der Konstruktion von Repräsentanten dieser Isometrieklassen dargestellt werden, ist in Zusammenarbeit mit Bayreuth in Vorbereitung. Mit den gleichen Überlegungen können unter Verwendung dieser Zyklenzeiger auch die Anzahlen von Matroiden bestimmt werden. In einem gesonderten Artikel [1] werden von Herrn Fripertinger die Details über die Berechnung der Zyklenzeiger linearer, affiner und projektiver Gruppen dargestellt. Dieser Artikel wurde beim Journal of Linear Algebra and Its Applications zur Publikation eingereicht.

Wie in der Projektbeschreibung mehrfach erwähnt, stellt die Chemie ein wichtiges Gebiet zur Anwendung von Methoden der algebraischen Kombinatorik dar. In [4] wird der Zyklenzeiger der Symmetriegruppe des C60-Moleküls bestimmt. (Das C60-Molekül ist der bedeutendste Vertreter der Fullerene, die vor ca. 10 Jahren entdeckt wurden.) Dieser Zyklenzeiger kann zur Bestimmung der Anzahl aller verschiedener Isomere zum Beispiel der Form C60HkCl60-k oder zur Berechnung aller Hetero-Fullerene verwendet werden. Mit einer konstruktiven Methode werden alle 12500 möglichen Resonanzstrukturen von C60 bestimmt und daraus unter Verwendung eines Bahnenalgorithmus alle 158 wesentlich verschiedenen Resonanzstrukturen und deren Symmetriegruppen bestimmt. Darüberhinaus wird eine mehr-dimensionale Version des Zyklenzeigers angegeben, und die genaue Implementierung dieser Methoden in SYMMETRICA [11] beschrieben. Abschließend werden noch die Zyklenzeiger verschiedener anderer Fullerene C20 bis C140 angegeben. Dieser Artikel erscheint im 33. Band der Zeitschrift MATCH, welcher den Fullerenen gewidmet ist. Mit den darin vorgestellten Methoden ist es den Chemikern möglich auf theoretische Weise Obergrenzen für die Anzahl von Isomeren zu bestimmen.

Im letzten Jahr diskutierte Herr Fripertinger eine weitere Anwendung der hier verwendeten Methoden auf Fragen der Musiktheorie. Nach eingehenden Diskussionen via e-mail mit Prof. R. Morris von der Eastman School of Music und mit B. Alegant verfaßte er den Artikel [2]. Mosaics sind Orbits von Partitionen unter gewissen Gruppenaktionen, die musiktheoretisch begründet werden können. Unter Verwendung bekannter Sätze werden die Gesamtanzahl von Mosaics und die Anzahl von Mosaics zu gegebenem Stabilisatortyp bestimmt. Weiters werden Methoden angegeben, die zur Bestimmung der Anzahl von Orbits von Partitionen zu gegebenem Block-Typ verwendet werden können. Dieser Artikel wurde bei dem American Mathematical Monthly zur Publikation eingereicht. Einige dieser Anzahlen waren bereits auf empirische Weise gefunden worden, nun kann man in beliebiger n-Ton Musik Anzahlen von Mosaics berechnen.

In Zusammenarbeit mit einem Institutsmitglied entstand der Artikel [6]. Am Anfang dieser Arbeit stand eine Vorlesung von P. Schöpf über Mathematik und Literatur, in der er S. Becketts Roman "Watt" erwähnte. Dieser beschreibt eine Situation, in der fünf Leute versuchen, sich gleichzeitg, ohne vorherige Absprache, in Paaren gegenseitig in die Augen zu schauen, aber kläglich daran scheitern. Daraus erhebt sich die Frage, in wievielen Situationen wenigstens zwei Leute sich gegeseitig in die Augen sehen. Eine mathematische Formulierung dieser Situation führt zu den sogenannten Endofunktionen. Durch Iteration von Endofunktionen entsteht eine Zykelstruktur. In der vorliegenden Arbeit werden Anzahlen von (Orbits von) Endofunktionen mit vorgegebenen Zykeleigenschaften berechnet. Insbesondere erhält man damit eine nicht-rekursive Formel für die Anzahl aller (Orbits von) Wurzelbäumen. Diese Arbeit soll bei dem Electronic Journal of Combinatorics eingereicht werden.

Von diesen Arbeiten existieren zum Großteil auch Versionen in Hypertext, die es dem Leser zusätzlich noch ermöglichen, die angegebenen Formeln für konkrete Probleme anzuwenden. Herr Fripertinger schrieb nämlich einige SYMMETRICA Programme, die von den entsprechenden Hypertext-Seiten aus aktiviert werden können. Diese WWW-Seiten findet man unter der Adresse:

http://bedvgm.kfunigraz.ac.at:8001/frib/index.html.

Die Verschiedenheit der hier in diesem Jahr untersuchten Probleme unterstreicht einmal mehr die allgemeine, universale Verwendungsfähigkeit der entwickelten Methoden zur Klassifikation und Konstruktion endlicher Strukturen unter einer gegebene Operation einer Gruppe.

In den kommenden Monaten ist nun geplant, die abschließende Arbeit über die Isometrieklassen linearer Codes fertigzustellen. Weiters arbeitet Herr Fripertinger an einer Zusammenstellung von SYMMETRICA Routinen, die zur Bestimmung vollständiger Orbit-Repräsentantensysteme verwendet werden können. Diese zwei Arbeitsbereiche werden in enger Zusammenarbeit mit Bayreuth erfolgen, von deren guten Verlauf man sich in [7] überzeugen kann. Weiters gibt es gewisse Ideen über Digraphen mit vorgegebener Eckengradfolge und verschiedene andere Punkte aus der Projektbeschreibung, die in den nächsten Monaten genauer untersucht werden sollten.

  • References

  • harald.fripertinger@kfunigraz.ac.at,
    last changed: January 23, 2001